Leipziger Szene 1988 - 1991

Geschrieben von Hodscha.

VOR DEM FREIEN FALL: 1988 -1990

 (Auszug aus dem Buch: Wir wollen immer artig sein, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 1999 - Autor: Hodscha)

Die harten Jahre des Anfangs waren vorüber.  Man hatte das Gefühl, die allgemeine und offizielle Stimmung taute auf, ja, mancherorts glaubte man schon eine Besserung nach fast vierzigjähriger Krankheit zu verspüren. Trügte auch der Schein, so sah man doch eine Aufweichung der starren Kulturdoktrin am Horizont des parteigetreuen Systems. Dies war noch lange kein Grund für Euphorie, aber mit der Duldung der "anderen" Musik waren Zeichen zu entdecken, die zumindest der musikalischen Entwicklung hoffnungsvollen Raum zu geben versprachen. Selbst die kulturpolitischen Schmierenblätter, wie das Neue Leben, widmeten der neuen Jugendbewegung begeisterte Zeilen. Jedoch die Konzertsäle waren schon seit Jahren gefüllt, bevor noch der erste Lutz ein gutes Wort über diese Musik  durch den äther verbreitete. Doch verdankten viele Bands dieser Szene auch den Medien einen Teil ihres Bekanntheitsgrades, der mit der Installierung des geliebten JUGENDRADIOS für manche seinen Höhepunkt fand.

  In Leipzig, wie überall im KonsumLand, probten die meisten Bands illegal in Abrißhäusern ohne Öfen und Toilette. Kaum eine ist von diversen Rückschägen, wie Einbrüchen etc. verschont geblieben. Versicherungen gab es so gut wie keine - jeder Auffahrunfall konnte der Verlust der Backline bedeuten und somit zur Auflösung führen. Einen geregelten Kassettenvertrieb oder annehmbare Instrumentenläden mit entsprechendem Service waren unbekannt.

Von seitens der offiziell geförderten Gremien bemühte sich hier höchtens die neugegründete IG ROCK Leipzig redlich um die Aufbesserung des Außenseiter-Images der anderen Musik. Diese Interessengemeinschaft durfte sogar ein recht einfältig gemachtes, aber nichts desto trotz gelesenes Kulturheftchen herausgeben, was zu dem noch hartnäckig zensiert wurde. Geld und professionelles Know-How fehlten, aber es wurden Podien der Selbstdarstellung für die Bands geschaffen.

Autonome Strukturen bildeten sich eher. So entstanden einige Zeitschriften, wie die MESSITSCH oder der SNO'BOY, die mit mittelalterlichen Techniken, wie Ormik-Vervielfältigungen oder fotografischer Ablichtung arbeiteten. Die sogenannten "Randgruppen" verließen die Keller und Kirchen, ihre Bands, wie z.B. DIE ART verdienten sich ihren Lebensunterhalt, indem sie vor den ehemaligen jugendlichen Rowdys und Quertreibern, wie auch den angepaßteren DDR-Jugendlichen spielten. Noch waren die Augen der Stasi wachsam auf diesen Auswuchs gerichtet, aber dem Ausmerzen war der Versuch des Kanalisierens und der Einflußnahme gewichen.

 

STREIFLICHTER

Was mit WurzelPunk begann, differenzierte sich ab 1985 zusehenst in die verschiedensten Stilrichtungen, die alle irgendwie unter der Sammelbezeichnung Independent liefen. Damit war letztenendes auch alles mit gemeint, was so schlecht war, daß es wirklich niemanden abhängig machen konnte und als Band sicherlich auch nie die Chance besaß, von den Großmogulen des Schallplattenkombinats abhängig zu werden. Meist entschied sich die Zugehörigkeit zur Szene, wenn die Akteure sich in einschlägigen Lokalen bewegten oder einen dementsprechenden Freundeskreis vorweisen konnten. Anders ist es nicht zu erklären, wie z. B. die Kappelle THE REAL DEAL zu einer Rezension ihrer furchtbaren Kassette "By The Wall" in der Fotocopyausgabe Nr. 3 der Messitsch  kommen konnten. Mit ihrer Musik, die eine krude Mischung aus receycelten U2-Riffs und der Unfähigkeit des Gitarristen zum New-Wave waren, spielten sie wahrlich an den Ohren der Leipziger Szene-Kriticaster vorbei. Um den Mastermind Kay REININGHAUS, der vordem einer nach ihm benannten Band vorstand, arbeiteten noch zwei in der Historie verschüttet gegangene Hobbymusikanten gegen den guten Geschmack.

 Sandberg

Bessere Karten und Kritiken, weil musikalisch und technisch vorgebildet, hatte SANDBERG, die leider nicht mit Aufnahmen im inoffiziellen Kassettenhandel auftauchten, obwohl MIKE STOLLE, der hier die Schlagstöcke zerlegte, fergewöhnliches Studio bekannt war. Unspektakuläre Probendemos bildeten die Ausnahme.

 Mit einer eigenwilligen Mischung aus Funk, Rock und Underground-Chaos (was immer das auch sein mag) schlugen sie gegen die Mammuts des bekannten Rockgetiers auf. Auf der Vorhand mitunter recht blödsinnige Texte ("Leipzsch") retournierten sie gewisse eig

ene Geschmacklosigkeiten mit geradliniger Musikalität und einem gesetzten Maß an Härte. Leipzig war sich nicht zu schade, diese jungen Männer in ihre Herzen aufzunehmen, wenngleich sie den Independenthunger der Freaks gerade auf solch Veranstaltungen wie dem Rockfestival nicht zur Genüge befriedigen konnten. Aber JöRG LUDWIG, wie auch die anderen, waren nie die Männer der großen Worte und Gesten, und da die Ambitionen der drei Bandmitglieder äußerst vielseitig waren, bestand SANDBERG von 1988 an auch nicht sehr lange.

 Hardmuth

Eher in die Reihe Kuriositäten kann der Versuch der Gründung einer vereinigenden Zweitband der ARTinstrumentalisten CHRISTOPH HEINEMANN, THOMAS STEPHAN, sowie des MAD AFFAIRE Gitarristen A.FRIEDRICH  und des Gitarristen von KULTURWILLE A. FALKENSTEIN gelten. Unter dem Namen HARDMUTH sollte es nur einen Auftritt im Frühjahr '88 in einem Leipziger Kino geben, das in froher Erwartung proppenvoll war. Wie überall funktionierte der "Buschfunk" auch in Leipzig besser als jede Werbung, zudem es sich bei den Musikern um recht bekannte Gestalten der sogenannten Szene handelte. Nach wochenlangem Proben und fleißiger Mundpropaganda verwässerte ein gutes Glas Hartgebrannter letztlich die Offenbarung: Ein dem Sänger gutmeinender Freund reichte diesem fünf Minuten vor dem ersten Ton den Schierlingsbecher, in dem statt Tonicwasser 45%iger Alkohol brauste. Das war der absolute Overkill für die Körpermotorik des Sängers und Gitarristen, der gegen die wütenden Blicke seiner Band und die Verwunderung im Publikum ansang und alle mit seinen Fehlgriffen auf der Gitarre folterte. Es kam daraufhin leider nicht zu einem weiteren Versuch, diesen Teil  der Leipziger Musikszene unter einen Hut zu bringen.

 L'ART DE BLAMAGE, DANSE MACABRE, CRIST CREEPS BACKWARDS (CCB)

Christ Creeps Backward

Erfolgreicher dagegen waren L'ART DE BLAMAGE, die sich ihre Sporen als Band im spätenSog des 80er Jahre Punk/Waves verdienten.  Denkwürdig bleiben ihre Auftritte mit den GOLDENEN ZITRONEN im Mockauer Keller oder anläßlich einer räudigen Punkparty mit L'ATTENTAT in einem Connewitzer Abrißhaus, bei dem mehrere Waschbecken und viele Flaschen zu Bruch gingen. Nachdem SCHNö die Band verließ, wurde sich mit den selben Leuten, KRAMFRIED (git), KAY SETZEPFAND (dr) und dem neuen Bassisten, MARTIN HEILMANN (bg) , der erst Schlagzeug spielte in DANSE MACABRE umbenannt, was eine stärkere Ausrichtung auf filigranere Musik zur Folge hatte. Mit der Wende wechselten sie nicht nur die Instrumente, Setzepfand spielte erst Bass und MARTIN HEILMANN Schlagzeug, sondern entdeckten als musikalische Ausrichtung für sich eine Mischung aus SKA, Blues und Hardcore. Dieses Konzept fand dank der äußerst eigenwilligen Intentionen des masterminds KRAMFRIED nach der erneuten Umbennung in CRIST CREEPS BACKWARDS (CCB) eine weitere Steigerung. Die Mixtur aus BAD BRAINS und RHCP. Versatzstücken und die mitunter verwirrenden Arrangements trugen dazu bei, daß C.C.B. bald als Geheimtip der H.C.- und Jazzambitionierten gehandelt wurde. Nur dem Mainstreamgeschmack der Juroren des Rockfestivals ist es zuzuschreiben, daß diese Kapelle bei ominösen Wettbewerben nur dritte Plätze belegte. Verewigt sind ihre Meisterwerke auf einem Tape "Attack On Your Earwax" 1991, die Musik ausdrücklich für beide Ohren bot und auf einer EP, die drei Titel beinhaltete. Diese hörenswerte Musik wurde meistens in katastrophalen Kellerräumen einsturzgefährdeter Abrißhäuser einstudiert. Ein kurzes Probenintermezzo, bevor er zu den TISHVAISINGS weiterzog, gab auch hier Friedrich von der aufgelösten MAD AFFAIRE. Doch der Fanatismus der Bandüberschritt jegliches Maß. SETZEPFAND, der durch göttliche Vorsehung geniales Schlagzeugspielen nicht in Jahren, sondern Tagen erlernte, nächtigte in Klausur gegangen mit dem Geist seines Schlagwerkes des öfteren auf verschimmelten Matratzen, zwischen Rattenpisse und Hausschwamm in einem dieser Probenlöcher. So bereitete er sich auf den rauhen Muggenalltag späterer Tage vor. Er landete nach dem bedauerlichen Ende dieser Freundschaft bei T.A.M., MARTIN HEILMANN bei den ANATEPHKA RAPTORS und KRAMFRIED bei diversen anderen Projekten.

 SIX BONES, LOVE IS COLDER THAN DEATH

Recht neu für die Ohren der lärmliebenden Leipziger war auch eine Band, die sich SIX BONES nannte. Der von CONFUSED TRIAL geschiedene Computernarr MIKE HARTUNG versuchte hier seine Vorstellungen von wahrer Musik zu verwirklichen. Mit seinen Freunden DONIS, SUSI HEINRICH als Sängerduo und SVEN MERTENS an einem weiteren Keyboard führte er auf mittelalterliche Notationen zurückgreifenden synthetischen Pop in die Szene ein. Das stieß anfangs wenig auf  Wohlgefallen, obwohl DONIS in Wanderpredigermanier dem Publikum entgegentretend  Charisma und Stimme vermuten ließ, im Gegensatz zu seinem Pendant Susi, die ihr Organ mit diversen Vocodern und anderen technischen Hilfsmitteln aufblähen mußte, was an sich für diese Musik nicht ungewöhnlich erschien, aber wie die Deckung fehlender Stimmgewalt auf die überraschten Zuhörer wirkte. Für SEX AND HORROR, wie ein Titel überschrieben war, erschien sie zu zahm. Das änderte sich mit der wachsenden Professionalität der Band, die sich von stereotypischen Werksounds verabschiedete und ganz auf die Mystik eigenkomponierter Klangwelten setzte. Für damalige Verhältnisse hervorragend produziert war denn auch ihr erstes Tape, das die regionalen Kritikaster in Verwirrung setzte, da hier ungeschminkt Popsongs noch mit DONIS und groovige Soundcollagen mit der zum reinen Instrument stilisierten Stimme der Sängerin gemischt waren. DONIS verabschiedete sich schließlich und SIX BONES hatten als LOVE IS COLDER THAN DEATH endgültig ihren Stil gefunden, der sie als Lustobjekt in die düstre Fangemeinde der als Grufties verschrieenen Aussteiger lenkte. Nunmehr erhielten ausgefeilte Kompositionen und der Einsatz mittelalterlichen Instrumenten nachempfunde Klänge den Vorrang gegenrte orientierten Dancegrooves. Zeitweilig wurde auch mit ANDY PORTER von der englischen Band ROSE OF AVELANGE ein richtiger Schlagzeuger integriert. Mit mannigfaltigen Besetzungsänderungen  erhielt sich die Band bis heute ihren Fankreis und verzeichnet leider nur im Ausland erhöhtes Interesse, was sich in gesunden Verkaufszahlen ihrer meist selbst vorproduzierten CDs niederschlägt, da beispielsweise in Belgien, den U.S.A. oder auch Mexico LOVE IS COLDER THAN DEATH mehr als nur ein Geheimtip der Darkszene sind.

IL MESSERE BANZANI

Auch der Ska machte um Leipzig keinen Bogen. Gab es bei vielen Bands, die dem Schrammelpunk entsagten, immer schon mal kleine Ausflüge in den Offbeat, so wurde genau 700 Jahre nach dem Tode des unvergessenen Glasbläsermeisters von Morano nahe Venedigs namens Giovanni Banzani, also am 6. Mai 1988, eine Band gegründet, die für Leipzig und die Independent-Szene den Ska den Regeln gerecht kultivierte. Die zwei rastalöckigen Cousins LEANDER (git, voc) und TOMMY TOPP (dr, voc) sammelten um sich einige Leute, die mehr oder weniger von ihrem Fieber angesteckt sich dem reinen Ska verschrieben. Den erste Bläsersatz von MESSER BANZANI stellten die FANTASTIC HORNS mit André Plötzner,tr; Arne Fischer, pos; Hendrik Wust, und Kornelia Thümmel, sax. Zu diesen gesellte sich noch der Basser Mathias Weiß.

 Wie üblich, fanden die ersten Konzerte vorwiegend auf größeren Parties statt. Ein Problem stellte sich natürlich immer ein - die Bühnen waren ständig zu klein, da Messer auch gern mit vielen Percussions-Gästen auftrat. Leipzig freundete sich sehr schnell mit dieser neuen Variante der unbändigen Lebensfreude an und die Kapelle erreichte auch bald einen überregionalen Fankreis. Nicht zuletzt entdeckte sie das Jugendradio DT 64, wo sich schon seit längerem offiziell ungelittene Bands in eigentümlichen Sendungen und sogenannten Hitparaden präsentieren konnten. Auch das führte dazu, daß MESSER BANZANI bald neben Michele Baresi zu den markantesten und besten der ostdeutschen Skabands zählte. Einige Kassetten und viel Eigenwerbung ließen die Konzerte bald zu beliebten Sammelpunkten der Skawütigen werden. Die SHARP-Skins und auch mehr rechtslastige Glatzenträger entdeckten schnell den Partiecharakter der Auftritte und vereinnahmten die Band als Anheizer für ihre lustigen Tänze in schweren Stiefeln und bitterbösen Minen. So war es nicht verwunderlich, daß es hie und da zu groben Mißverständnissen mit dem Publikum kam, die DocMartens Fußabdrücke auf ihren Sachen nicht leiden mochten.

Mit der politischen Wende änderte sich nicht nur die Besetzung der Band, sondern auch deren musikalische Ausrichtung. Am Bass arbeitete eine Frau, ANNE KUNDT, eine Orgel verstärkte den Aftertouch, Alex Bachmann. So wurde auch die erste Platte "Messer Banzani" in den Vielklang Studios eingespielt. Es war ihre erste Platte in Freiheit, die sie bei einem Label namens D.D.R. aufnahmen und auf welchem sich neben Reggae- und Skanummern auch afrikanische Urrythmen fanden. Ob das ihrem anvisiertem Konzertziel Mocambique geschuldet war, ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Später noch setzte sich MIKE STOLLE, der zwischenzeitlich schon einmal als Basser eingesprungen war, hinter die Drums und verschleppte das Tempo zum Reggae. Tommy konzentrierte sich nun mehr auf das Singen und Entertainment. Eine neue Bläsersektion mit häufig wechselnder Besetzung und flächigere Keyboards ließen den Stomping Sound zum Reggae werden, die neue Zeit war eingeläutet. 

 Höhepunkte waren auch die zahlreichen Gastmusiker, deren viele mit der Musik oder den Leuten verbunden waren.  Herrausragend war sicherlich das geniale Gittarensolo von JOEY VAISING in "Peaces Wonder", das auch auf Maxi zu hören ist. Mit den Vortrinkern von T.A.O.T.L.TV, wie sich die vormaligen TISHVAISINGS zu dieser Zeit nannten, gab es überhaupt sehr erquickliche Kontakte.

 Im speziellen gründeten Leander Topp, Joey und Gogo Vaising  mit Henrik Eiler von Ex-NEUROT das Projekt THE ACT. Der auch schon immer hardcorebegeisterte Skatomane Leander leihte hier einem Projekt seine Stimme, das in Leipzig damals noch seines gleichen suchte. Der in der Provinz noch ungeborene Cross-over  la Red Hot Chilli Peppers in seiner härtesten Variante fände hier seinen Anfang, wenn es denn nur mehr als ein legendäres Konzert im EISKELLER zum IV. Rockfestival gegeben hätte. Dieses allerdings hat sich auf ewig in die Gehörgänge der Leipziger Szene eingegraben.

 

THE ART OF THE LEGENDARY TISHVAISINGS

Schien bis Mitte der Achtziger Jahre noch halbwegs jede Punkband eine politische Aura zu haben, so verschwand diese mit dem Aufkommen des härteren Hardcore bei einigen Musikbesessenen. Was zählte, waren der gnadenlose Lgelte Aktion und hervorragendes Equipment, das die gesteigerten instrumentalen Fähigkeiten ordentlich zur Geltung bringen konnte.

 Das Brachiale in musikalischer Form auf die Bühnen zu bringen, gründete sich am 30. September 1988 in Leipzig die Band "THE TISHVAISINGS". Alles begann, so die Legende, als JOEY ADLER auf einer Motörhead-Party Timothy Herbert Vaising, einen englischen Kunstsammler, traf, der der Band seinen Namen geben sollte. Die tiefe Bedeutung des Namens erschließt sich dem wahren Fan erst, wenn er betrunken von hundert Vasen (Flaschen ) Huntley auf einem Tisch steht und die rasende Menge schreit entseelt: "Spring". So oder  es der alte Mann gemeint haben. Der Kampf um die 130-Dezibelgrenze war jedenfalls eröffnet. Neben JOEY VAISING (git) gehörten noch GOGO VAISING (bg), TOMMY S. VAISING (voc) und INGO GUTMANN (dr), der nie ein richtiger VAISING werden konnte, da er als damaliger Sänger des FOUR-TIME-Trio's viel zu verspielt war und "mit seiner Frisur nicht auf das Bandfoto paßte", zur Urbesetzung. Für letzteren kam bald darauf JOHNNY WEIßMÜLLER-SCHWOBS-VAISING  an die Drums.

Auch Gogo mußte zwischenzeitlich die Band verlassen, für ihn sprang der Zwei-Meter-Mann TORTI VAISING ein, der jedoch auch nicht lange durchhielt, zumindest jedoch noch das erste Tape "FAST FOOD" mit einspielte. Noch war der unselige Geist langatmiger Metalromantik nicht abgelegt. Endlose Lieder, düstere Balladen und elegische Gitarrenchorusse erschwerten das vergnügte Hören beträchtlich. Die Große Wende war schon fast in Sicht, als mit dem Ausstieg Jonny V. und dem Einstieg des neuen, damals noch trinkfesteren Schlagzeugers D.D. VAISING nun auch in der Kapelle die letzten tönernen Hürden genommen wurden. Des Sängers rauhes Organ und die schallmauerbrechenden Riffs Joeys bekammen nun den erforderlichen Groove. Jetzt ging es mehr in Richtung des hartkernigen "Boys, they don't know, what they do", welches erfreulich aus dem Brei des sonstigen "FAST FOOD" herausstach. 

 Zu dem ganzen Kult um die eigenen "göttlichen" Personalien der Bandmitglieder paßte das Gemisch aus Splatter- und Sci-Fi-Philosophie des Derrwisch-Sängers sehr gut hinein. Quälten die Instrumentalisten nicht gerade ihre Werkzeuge, so gab sich die Kapelle in hochprozentiger Gesellschaft den Weihen der Filmkunst hin: mit Freddy Krüger, Buttgereits Leichen und diversen C-Movies aus Brasilien tanzten sie den Teufel -  ihre wahre Inspiration! Mit dem Aufkommen der joystickbewegten Pixelmaschinen war später dann der Höhepunkt der innerweltlichen Auseinandersetzung außerhalb von  Lärm und Orgie erreicht.

Dem Phänomen TISHVAISING war mit der beliebten Kategorie "andere" Bands nicht mehr beizukommen. Gaben sich andere betont politisch oder waren wenigstens noch dementsprechend motiviert, so war hier eine neue Qualität erwachsen, die sich in strikter Weltflucht die lästigen Probleme der Caféhaus- und Anarcho-Revoluzzer vom Hals hielt. Nichtsdestotrotz rekrutierten THE TISHVAISINGS gerade in den Hochburgen des ideologischen Aufbruchs ihre größten Fans. Obwohl STRAIGHT EDGE für sie wahrlich ein Fremdwort gewesen ist - sie saßen lieber im Restaurant am Ende des Universums und leerten manch wertvolle Flasche. Eine Ausnahme war vielleicht doch der Vocalist, der als Comiczeichner und Lay-outer SCHWARWEL gerade begann auch außerhalb von Leipzig sich einen Namen zu machen und durch verschiedentliche Aufträge die Nervosität des End-DDR-Alltages noch wissentlich mitbekam.

 Doch auch er verließ im März '89 die Gesellen und sein Platz nahm MAD VAISING, ehemals Sänger und Gitarrist bei MAD AFFAIRE ein. Dieser sang dann auch das zweite Tape "HUNDRED BOTTLES HUNTLY" ein - zeitgemäßer Umschwung zu den Deltas des Cross-Over, mit ausgefeilten Arrangements und durchweg hörbaren Ideen. Trotz der melodiöseren Intonation gewann die Musik wiederum an Härte, obwohl das Limit durch die Detailbesessenheit der Instrumentalisten noch längst nicht erreicht war.

The Legendary Tishvaisings 1990 vor dem Leipziger Hauptbahnhof. (Feckenstedt, Friedrich, Gohlke, Adler). Foto: eigene  Quelle (Messitsch)

Mit der Wende öffneten sich nun auch westliche Horizonte. Das hieß als erstes erstrebenswerte Ziel eine Tour durch den erbarmungslosen Orbit der Marktwirtschaft zu ergattern. Mit DIE ART und MESSER BANZANI ging es auf zweiwöchige Tournee durch die Metropolen der westdeutschen Provinzen. Bremerhaven, Frankfurt, Trier, Paderborn etc. waren Stationen dieses hoffnungsvollen Aufbruchs. Organisiert von christlich motivierten Pfadpfindern verlor man sich als exotische Ossis in riesigen Kongeßhallen (Frankfurt/M.) oder  auf provinziellen Stadtteilfesten (Paderborn). Kein Entzücken rief anfangs das Catering der neugewonnenen Gönner hervor: Die mittlerweile in THE LEGENDARY TISHVAISING umbenannte Band und einen Kasten klaren Quellwassers als Grundverpflegung pro Tag - unvorstellbar. Schnell wurden diese systemtrennenden Probleme gelöst und auch diese Tour mit gewohntem Alkoholspiegel zu Ende gebracht. Andere Konzerte mit den DALTONS oder der japanischen Punkband STALIN sollten noch folgen.

 

Dann war aber auch die Zeit dieses Sängers zu Ende, er wollte sich die Weihen der nunmehr freiheitlichen höheren Schulbildung geben und die Band ging nur noch zu dritt ihrer letzten Umbennung in THE ART OF LEGENDARY TISHVAISINGS entgegen. Auf den absolut nötigen Teil an Musikern zusammengeschmolzen wurde die erste EP veröffentlicht: "TRIEF...". Schwarwel steuerte hierzu das klassische Comiccover bei, JOEY entdeckte seinen inneren LEMMY und zerbrüllte die Mikromembranen. Abgemischt wurde diese,wie viele Leipziger Produktionen und auch die ersten Kassetten, bei Mike STOLLE und Michael Stötzel von Dust Music Studio. Der Vertrieb erfolgteüber MESSITSCH, das Leipziger Underground-MusikMag, daß sich noch drei Jahre nach der Wende halten sollte.

Thrief Cover

 Zwischen dem Ausscheiden MAD VAISINGS und dieser ersten "öffentlichen" Veröffentlichung gab es noch diverse Projekte der Musikern von T.L.A.O.T.V. wie THE ACT oder das gewaltige Massaker namens 625/12p mit MIKE STOLLE am Drumset, der in Eilers-Manier einen seltsamen Stil pflegte und mit DONIS, der bei der Computerschule SIX BONES den Voicemaster markierte.

 Letztes Eigenprodukt vor dem Übergang der Bandmasterminds JOEY und GOGO zu THINK ABOUT MUTATION war die erste LP der TISHVAISINGS "CATHARSIS" 1990/91. Wieder war das Cover von SCHWARWEL, produziert wurde diesmal in richtigen Weststudios, was zur Folge hatte, daß durch krudes Managment die Platte späterhin kaum jemand auf dem gepriesenen freien Markt zu sehen bekam. Jedoch waren gerade hier, geradezu als prägnanter Abschluberdurchschnittlich interessanten Bandvita, geniale Titel, wie z.B.  das schwer abgehangene "Outburst" in Endlosrille gepreßt. Trotz dieses hörenswerten Höhepunktes zerfiel die hoffnungsvolle Band. Ein weiteres Projekt mit JOEY, GOGO,KAY SETZTEPFAND und LEANDER TOPP war nocheinmal kurz D.O.D. (Death on Doomsday) die auch ein sehr interessantes Tape herausbrachten. D.D.VAISING kam nach langer Ruhephase erst 1994 wieder mit MAD VAISING bei den ANATEPHKA RAPTORS zum Trommeln, während JOEY und GOGO mit DONIS, KAY SETZEPFAND und anderen bekannten Leipziger Metalgrößen schon längst mit T.A.M. eine neueära Leipziger Musik einläuteten.